Vorwort

Die Menschen werden immer älter. Die Beschwerden häufen sich. Die meisten Krankheiten lassen sich mit Medikamenten gut einstellen. Verschwinden nicht, sind aber gut therapierbar.Und somit kann den Betroffenen geholfen werden. Doch ist das immer der Fall? Lies selbst ...

Ein altes Foto

»Weißt du noch? Damals! Wo waren wir da eigentlich?«

Martha nimmt ihrem Mann das alte schwarzweiß Foto aus der Hand und sieht es sich an.  »Das war ...«, über ihr faltenreiches Gesicht huscht ein Lächeln. »Ich weiß es noch ganz genau, wo das entstanden ist.«

»Grinse nicht nur, sag es mir endlich!«, erwidert Heinrich gereizt. »Und warum weiß ich das nicht mehr, kannst du mir das auch sagen?«

Während sie das Foto wieder zu den anderen Fotos legt, die sich in einem Schuhkarton befinden und mit dem Pappdeckel zugemacht hat, überlegt seine Frau was sie ihrem Mann antworten soll. Sie will ihn nicht verletzen, sie möchte nur eins: Dass er glücklich ist.

»Nun sag schon, wo waren wir da? Oder hast du es auch vergessen und willst es nur nicht zugeben?« Heinrich fängt an zu lachen und zwinkert ihr verschmitzt zu.

In diesem Augenblick ist es wieder da! Das, was sie an ihrem Heinrich so liebt und warum sie sich als junges Mädel in ihn verliebt hat. Dieses freche Lachen und das mit dem Augenzwinkern. Und heute? Er lacht noch genauso frech und das Zwinkern hat er auch nicht verlernt. Wenn nur nicht …

Aus ihrer Grübelei wird sie gerissen, als ihr Mann sie anblafft: »Kannst du mir mal sagen, warum du mir nicht antwortest?«

»Entschuldige, ich war nicht bei der Sache.«

»Ach nee, was du nicht sagst!«

Nun holt Martha das Foto wieder aus dem Schuhkarton hervor, verlässt ihren Sessel und setzt sich neben ihren Mann aufs Sofa. »Du, das Foto ist beim Großglockner entstanden. Siehst du, da unten auf dem Gletscher die vielen Murmeltiere? Und das Foto«, sie holt ein weiteres aus dem Karton, »das ist Heiligenblut!«

»Richtig! Ich erinnere mich wieder. Und auf dem Weg nach oben, auf der Hochalpenstraße«, Heinrich grinst, »weißt du noch? Da hat das Wasser im Kühler gekocht! Wir mussten mit unserem Käfer einen Zwangsstopp einlegen. Aber warum, Martha, warum vergesse ich immer mehr?«

Zärtlich streichelt sie über seine knöchrige Hand. »Schatz, das sind die ersten Anzeichen deiner Krankheit. Weißt du denn noch, was der Arzt zu dir gesagt hat?«

»Demenz! Ich werde verblöden!« Und wieder zwinkert er seiner Frau zu. »Ja, mit mir hast du einen schönen Fang gemacht!«

»Stimmt! Und weil das so ist, darum lasse ich dich auch nicht vom Haken. Wir beide, du und ich, wir stehen das gemeinsam durch! Und wenn du etwas nicht weißt, dann fragst du mich einfach.«

»Okay, und wenn du es auch nicht weißt, dann …, was machen wir dann?«

Jetzt muss seine Frau herzhaft lachen. »Dann, Heinrich, wissen und merken wir beide es hoffentlich nicht mehr!«

Ehe sich Martha versieht, schlingt er seine Arme um seine Frau, drückt sie fest an sich und flüstert ihr ins Ohr: »Aber ich weiß noch ganz genau, wie heftig wir uns damals in der schnuckeligen Ferienwohnung in Heiligenblut geliebt haben! Und? Weiß du das auch noch?«

»Siehst du, du hast längst noch nicht alles vergessen! Komm, und jetzt gehen wir eine Runde spazieren!«

© Barbara Acksteiner / 2023